John Heartfield. Fotografie plus Dynamit

Montage von John Heartfield: "Krieg und Leichen – die letzte Hoffnung der Reichen". Doppelseite aus der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung, 1932, Nr. 18 © The Heartfield Community of Heirs / VG Bild-Kunst, Bonn 2020 Akademie der Künste, Berlin
Eine der bekanntesten Montagen von John Heartfield: „Krieg und Leichen – die letzte Hoffnung der Reichen“. Doppelseite aus der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung, 1932, Nr. 18 © The Heartfield Community of Heirs / VG Bild-Kunst, Bonn 2020 / Akademie der Künste, Berlin

Vorweg: Die Ausstellung „John Heartfield – Fotografie plus Dynamit“ in der Berliner Akademie der Künste (noch bis 23.8.2020) ist ein Glücksfall. In einem Jahr, in dem die COVID-19-Pandemie das kulturelle Leben in Deutschland, Europa und der Welt stark beeinträchtigt, oft sogar zum Erliegen gebracht hat, wird in dem Gebäude am Pariser Platz erstmals ein umfassender Einblick in das Werk dieses Pioniers der politischen Fotomontage ermöglicht.

Heartfields politische Fotomontagen: Ikonen im Kampf gegen Faschismus und Krieg

John Heartfield (1891–1968), als Hellmuth Franz Joseph Stolzenberg in Schmargendorf bei Berlin geboren, gehört zu den innovativsten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Seine plakativen politischen Fotomontagen wurden zu Ikonen im Kampf gegen Faschismus und Krieg. Bis heute sind sie von internationalem Rang und haben nichts von ihrer Sprengkraft eingebüßt – selbst wenn man Heartfields politischen Hintergrund, das Engagement für die KPD, kritisch betrachten mag.

John Heartfield: "5 Finger hat die Hand. Mit 5 packst Du den Feind. Wählt Liste 5. Kommunistische Partei!" Fotomontage für ein Wahlplakat der KPD, 1928 © The Heartfield Community of Heirs / VG Bild-Kunst, Bonn 2020 / Akademie der Künste, Berlin
John Heartfield: „5 Finger hat die Hand. Mit 5 packst Du den Feind. Wählt Liste 5. Kommunistische Partei!“ Fotomontage für ein Wahlplakat der KPD, 1928 © The Heartfield Community of Heirs / VG Bild-Kunst, Bonn 2020 / Akademie der Künste, Berlin

Die Akademie-Ausstellung zeigt die vielen Facetten von Heartfields Kunst, die nicht auf die politische Fotomontage beschränkt blieb. Vielmehr war sein Werk von weitaus größerer Bandbreite: Es reichte von der Buchgestaltung und Werbung über die politische Pressearbeit und Bühnenausstattung bis hin zu Fotografie und Trickfilm.

Die Schau beleuchtet zudem Heartfields Methode, schlagkräftige Bildmotive in ganz unterschiedlichen Kontexten einzusetzen. Bisher weitgehend unbekannte Arbeiten und Dokumente zeigen erstmals sein komplexes Bezugsfeld. Heartfield hatte während seines von Verfolgung und Exil geprägten Lebens enge Verbindungen zu so bedeutenden Zeitgenossen wie Bertolt Brecht, George Grosz, Erwin Piscator und Wieland Herzfelde, dem Gründer des Malik-Verlages.

Grundlage für die Ausstellung bilden die Neubearbeitung und Digitalisierung seines Nachlasses, außerdem die Auswertung von Materialien aus Archivabteilungen der Akademie, die auch in einer Online-Präsentation zu sehen sind. Zum Teil erstmals gezeigte Arbeiten wie Designentwürfe, Reiseskizzen, Fotos und Filmdokumente sowie bisher unbekannte Inspirationsquellen aus seiner Grafik- und Ostasiatika-Sammlung erweitern die Schau.

John Heartfield: "Krieg! (Niemals wieder!)" Silbergelatineabzug mit Pinselretusche, 1932/1941 © The Heartfield Community of Heirs / VG Bild-Kunst, Bonn 2020 / Akademie der Künste, Berlin
John Heartfield: „Krieg! (Niemals wieder!)“ Silbergelatineabzug mit Pinselretusche, 1932/1941 © The Heartfield Community of Heirs / VG Bild-Kunst, Bonn 2020 / Akademie der Künste, Berlin

Heartfields revolutionäre Montagetechnik – ein Geheimnis?

Es erfordert Zeit und Konzentration, diese Text- und Bildfülle bei einem Gang durch die Schauräume aufzunehmen und zu verarbeiten. Und doch fehlt der Ausstellung überraschend ein entscheidendes Element: eine vertiefende Beschäftigung mit der für ihre Zeit revolutionären Montagetechnik von John Heartfield.

Dies ist insofern unverständlich, als Heartfields Kompositionen – entstanden im Zeitalter der analogen Fotografie – handwerklich derart perfekt sind, dass man das Geheimnis seiner Arbeitsweise unbedingt erfahren möchte, Heartfield selbst hat bereits 1929 im Kontext einer Ausstellung in Stuttgart Einblick in seinen „Workflow“, wie wir heute sagen würden, gegeben. Diese Tafel mit dem Titel „Wie eine Fotomontage entsteht“ erläuterte seine Technik der Klebemontage, bei der er mit Positiv-Fotografien arbeitete.

Darüber berichtet Angela Lammert ausführlich in ihrem Beitrag zum Begleitband der Ausstellung, weist aber zu Recht auf die Schwierigkeit hin, Heartfields komplexe Arbeitsweise vollständig zu rekonstruieren. Dennoch hätte dieses Thema – bei allen Fragezeichen – in die Schau selbst integriert werden müssen, zumal sich etliche Werkzeuge des Künstlers in seinem Nachlass erhalten haben. Diese Instrumente werden zwar außerhalb der Ausstellungssäle in einer Art Guckkasten mit winzigen Bullaugen präsentiert, doch geschieht dies so diskret, dass offenbar die meisten Besucher daran vorbeigehen.

John Heartfield: "Werkzeug in Gottes Hand? Spielzeug in Thyssens Hand!" Titelseite der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung, 1933, Nr. 31, Kupfertiefdruck © The Heartfield Community of Heirs / VG Bild-Kunst, Bonn 2020 / Akademie der Künste, Berlin
John Heartfield: „Werkzeug in Gottes Hand? Spielzeug in Thyssens Hand!“ Titelseite der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung, 1933, Nr. 31, Kupfertiefdruck © The Heartfield Community of Heirs / VG Bild-Kunst, Bonn 2020 / Akademie der Künste, Berlin

Wer das Medium Fotografie und damit verbundene Repro- und Montagetechniken nur aus dem Blickwinkel einer digitalen Dunkelkammer mit Photoshop und Co. kennt, dem wird sich die Brillanz der Arbeitsweise von Heartfield in der Ausstellung kaum erschließen. Eine Fokussierung auf dieses äußerst spannende Kapitel im Werk des Künstlers hätte das Projekt „Fotografie plus Dynamit“ auch unter museumspädagogischen Aspekten deutlich aufgewertet.

Und: John Heartfields Werk hat viele Künstlerinnen und Künstler weltweit inspiriert, in Deutschland etwa Klaus Staeck. Zumindest ein Hinweis auf diese Wirkungsmächtigkeit mit einigen Beispielen hätte die Ausstellung überzeugend abgerundet.

So bleibt zu hoffen, dass die Akademie der Künste das Thema „John Heartfield. Fotografie plus Dynamit“ in einer späteren Folgeschau vertiefen wird.

Ausstellungsdaten

Ausstellungsort:
Akademie der Künste, Pariser Platz 4, 10117 Berlin

Laufzeit: 2. Juni bis 23. August 2020

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 11 bis 19 Uhr. Letzter Einlass: 18 Uhr

Eingeschränkter Einlass aufgrund aktueller Hygienebestimmungen. Es wird empfohlen, das Ticket online zu bestellen.

Katalog (Hirmer-Verlag, 312 Seiten mit 250 Abbildungen): 29,90 € in der Ausstellung, 39,90 € im Buchhandel

Weitere Ausstellungsstationen sind das Museum de Fundatie in Zwolle (17.1. bis 3.5.2021) und die Royal Academy of Arts in London (27.6. bis 26.9.2021).

 

Meine Fotografien als FineArt-Prints bestellen – hier geht’s zum Online-Shop: shop.holger-ruedel.de