Steve McCurry – Bildreportagen mit humanistischem Engagement

Steve McCurry bei einer Signierstunde im Februar 2009 in Schleswig nach der Eröffnung seiner weltweit ersten Retrospektive.
Steve McCurry bei einer Signierstunde im Februar 2009 in Schleswig nach der Eröffnung seiner weltweit ersten Retrospektive. © Holger Rüdel

Als der Franzose Louis Daguerre vor 170 Jahren die Fotografie entdeckte, konnte niemand voraussehen, mit welcher rasanten Geschwindigkeit sich diese revolutionäre Erfindung in den kommenden Jahrzehnten verändern würde. In den Pionierjahren der Fotografie mussten die Lichtbildkünstler noch mit minutenlangen Belichtungszeiten kämpfen, so dass nur statische Situationen ohne jede Aktion festgehalten werden konnten. Vor allem Porträts litten unter diesem Defizit und wirkten häufig steif und leblos; die enorme Größe und das Gewicht der damaligen Aufnahmeapparate kamen erschwerend hinzu.

Fotografie – das „Auge des 20. Jahrhunderts“

Doch schon wenige Jahrzehnte später vollzog sich ein grundlegender Wandel: Mit der Erfindung des Rollfilms durch George Eastman 1889 und vor allem des Kleinbildsystems durch Oskar Barnack 1913 waren die Voraussetzungen für die Konstruktion kleiner, mobil einsetzbarer, aber doch extrem leistungsfähiger Kameras gegeben. Das war die Geburtsstunde des modernen Fotojournalismus. Fortan konnten die Bildreporter der großen Zeitungen, Illustrierten und Nachrichtenagenturen überall flexibel agieren und hautnah von den Brennpunkten des Weltgeschehens berichten. Die Fotografie wurde so zum „Auge des 20. Jahrhunderts“.

Steve McCurrys Geschichte des „afghanischen Mädchens“ Sharbat Gula

Doch nicht die Technik entscheidet über die Qualität einer Bildreportage, sondern letztlich das Können und die Philosophie des Menschen hinter der Kamera. Oder in den Worten des berühmten französischen Leica-Fotografen Henri Cartier-Bresson (1908-2004) ausgedrückt: „Fotografieren bedeutet, den Kopf, das Auge und das Herz auf dieselbe Visierlinie zu bringen. Es ist eine Art zu leben.“ Einer der ganz großen Fotojournalisten unserer Zeit, für den dieses Zitat treffender nicht sein könnte, ist der heute in New York lebende Steve McCurry. Wie viele andere berühmte Fotografen hatte auch der 1950 in Philadelphia geborene McCurry zunächst einen anderen Lebensweg eingeschlagen und Filmwissenschaft sowie Geschichte studiert. Nach einem Job bei einer lokalen Tageszeitung zog es ihn schließlich als freiberuflichen Fotografen nach Indien und Nepal.

Es war sicher eine Mischung aus professionellem Spürsinn, Risikobereitschaft und Abenteuerlust, die ihn 1979 – kurz vor dem Einmarsch der sowjetischen Armee – verleitete, sich über verschlungene Wege nach Afghanistan aufzumachen, das bereits damals vom Bürgerkrieg zerrissen war. Seine Bilder aus der Krisenregion gehörten zu den ersten, die weltweit veröffentlicht wurden. Die belichteten Filme hatte der Fotograf in seine Kleidung eingenäht, bevor er nach seinem mehrwöchigen Aufenthalt als Begleiter der Mujaheddin unter Lebensgefahr nach Pakistan zurückkehrte. Für seine in der Time erschienenen Reportagen erhielt McCurry 1980 den renommierten „Robert Capa Gold Medal Award“. 25 Mal ist McCurry seit 1979 nach Afghanistan zurückgekehrt – ein Land, das sein Leben entscheidend veränderte: Seine bewegende Fotografie eines zwölfjährigen afghanischen Mädchens, aufgenommen 1984 in einem Flüchtlingslager in der Nähe von Peshawar, kam auf die Titelseite des National Geographic Magazine und wurde seitdem tausendfach in anderen Publikationen weltweit abgedruckt.

Dieses magische Porträt, das jeden Betrachter in den Bann zieht, ist eines der eindrucksvollsten in der Geschichte der Fotografie. McCurry erinnert sich lebhaft daran, wie er das Mädchen, dessen Namen er damals noch nicht kannte, das erste Mal sah: „In dem Lager stand ein kleines Zelt, das als Klassenzimmer für Schülerinnen genutzt wurde. Ich war neugierig und schaute hinein. Ich sah das afghanische Mädchen in einer Ecke und war von ihrem eindringlichen Blick fasziniert. Ich ahnte nicht, dass diese Aufnahme sich so sehr von meinen anderen Fotos unterscheiden würde“. McCurry wurde einmal gefragt, warum bei Millionen Fotos, die täglich in den Bildredaktionen gesichtet werden, ausgerechnet dieses Porträt auch noch gegenwärtig immer wieder ausgewählt und gedruckt wird: „Es ist wie bei einer günstigen Sternenkonstellation“, erklärte McCurry schmunzelnd.

Die Expedition 2002

Der Ruhm, der mit dem plakativen Bild des afghanischen Mädchens verbunden war, führte dazu, dass McCurry 1986 in die Pariser Agentur Magnum Photos berufen wurde, die als „Olymp der Fotografie“ nur einige wenige der Besten der Branche nominiert. Cartier-Bresson zählte zu den Gründern von Magnum, und mit ihm verband McCurry eine enge Bekanntschaft. Die Agentur Magnum entstand 1947 mit dem Credo, „ein glaubwürdiges Zeugnis des Lebens“ abzulegen. Und darin sieht auch McCurry seine Aufgabe als Bildjournalist: „Ich will in der Tradition der Fotografen stehen, die die Welt so abbilden, wie sie ist, die Menschheit so darstellen, wie sie ist, und die das Weltgeschehen dokumentieren.“

Dieser aufklärerische-humanistische Ansatz führte McCurry im Januar 2002 mit einer von National Geographic organisierten Expedition erneut nach Afghanistan. Es ging darum, das damals noch namenlose afghanische Mädchen wiederzufinden und über ihr Schicksal zu berichten. Informanten brachten das Team schließlich auf die richtige Spur zu einer Frau in einem abgelegenes Dorf nahe der Tora-Bora-Berge: Durch eine biometrische Ausmessung ihrer Augen konnte Sharbat Gula, mittlerweile etwa 30 Jahre alt und Mutter dreier Töchter, zweifelsfrei als das afghanische Mädchen identifiziert werden. Sie selbst konnte sich daran erinnern, dass McCurry sie fotografiert hatte – es waren die einzigen Aufnahmen, die je von ihr angefertigt worden waren. Von der weltweiten Bekanntheit ihres Porträts erfuhr sie erst durch McCurry nach ihrer Wiederentdeckung. Zu Ehren von Sharbat Gula wurde auf Initiative von National Geographic ein Hilfsfond für afghanische Frauen eingerichtet.

Das Werk von Steve McCurry ist nicht nur mit Afghanistan verbunden. Aufträge und eigene Neugier führten ihn mit seinen Nikon-Kameras um den ganzen Globus. Sein Hauptaugenmerk allerdings gilt weiterhin Asien, dessen Landschaften und Menschen er in zahlreichen Publikationen symbolträchtig dokumentiert hat. Steve McCurry ist einer der herausragendsten Bildjournalisten und Fotokünstler der Gegenwart. Er selbst beurteilt seine Arbeiten allerdings sympathisch bescheiden: „Ich will zeigen: So waren wir und so haben wir gelebt. Dies sind die Orte. Und hier sind einige der Gesichter.“

Dieser Beitrag wurde am 7. Februar 2009 veröffentlicht in: Schleswig-Holstein Journal, Magazin des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages, S. 3-5.

 

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