Island. Raufarhöfn
Momentaufnahmen in Raufarhöfn (gesprochen: røyvarhœpn̥), der nördlichsten Siedlung in Island, direkt am Atlantik gelegen und nur ein paar Kilometer vom Polarkreis entfernt.
Die größte Attraktion von Raufarhöfn befindet sich am Ortsrand: Arctic Henge – das unvollendete, monumental geplante Bauwerk eines inzwischen verstorbenen Konstrukteurs.
Das Klima in Raufarhöfn ist arktisch geprägt und unwirtlich. Und das Leben dementsprechend hart und entbehrungsreich. Wegen der Lage unmittelbar südlich des Polarkreises scheint im Dezember nie die Sonne und selbst im Juli durchschnittlich nur 3,8 Stunden pro Tag, was auf das unbeständige und oftmals wolkenverhangene Wetter zurückzuführen ist.
Die rostige Patina von Raufarhöfn
Fast immer weht ein starker, salzhaltiger Wind von der See her, der dem Ort seine morbide, rostige Patina verleiht. Der Rost nagt an allem, was metallisch ist: Er zerfrisst die Fassade des Hotels „The Nest“, die Treibstofftanks in dem kleinen Gewerbegebiet am Hafen und die Skulpturen vor dem geschlossenen Café einer früheren Galerie. Auch die zwei bizarren Oldtimer, die ohne Nummernschild wie von Künstlerhand inszeniert an der Hauptstraße stehen, zeigen erste Spuren des Verfalls.
1988 hatte der Ort noch 401 Einwohner. Inzwischen sind es lediglich 168. Wohl deshalb hat Raufarhöfn den Charme eines Lost Place, einer Geisterstadt. Das macht die kleine Siedlung allerdings spannend für fotografische Entdeckungen.
Raufarhöfn – ein ungewöhnliches Stück Island
Zwei Tage lang begegnete ich keinem Menschen bei meinen fotografischen Streifzügen durch den Ort – bis auf zwei sehr entspannt wirkende Angler am Hafen und eine Einwohnerin, die sich mir kurz vor meiner Weiterfahrt als Sprecherin einer lokalen Facebook-Gruppe vorstellte.
„Wir beobachten dich jetzt seit zwei Tagen“, erklärte sie freundlich, aber ziemlich resolut. „Und wir würden gerne wissen, warum du hier fotografierst. Wir möchten nämlich nicht, dass unser Ort und unsere Häuser ausgekundschaftet und später ausgeraubt werden“. Ich versuchte der Sprecherin zu vermitteln, dass ich gewiss keine kriminellen Ambitionen verfolge und mich als Motiv ausschließlich der spezielle Charme des Ortes reizt. Und natürlich auch Arctic Henge, das Aushängeschild von Raufarhöfn.
Ganz sicher bin ich mir nicht, ob ich das Misstrauen zerstreuen konnte …
Raufarhöfn – das ist ein ungewöhnliches Stück Island abseits der ausgetretenen Touristenpfade.
Übrigens: In seinem Roman „Kalmann“ hat der Schriftsteller Joachim B. Schmidt Raufarhöfn ein literarisches Denkmal gesetzt. Lesenswert!