Bloody Sunday – schon vergessen?
Am Sonntag, dem 30. Januar 1972, erschossen Spezialkräfte der britischen Armee 13 unbewaffnete Demonstranten der katholischen Minderheit in der Stadt Derry (offiziell Londonderry) in Nordirland. Ein weiterer Teilnehmer der Demonstration erlag später seinen Verletzungen.
Bloody Sunday, der Blutsonntag von Derry, ist in tragischer Weise in die Geschichte eingegangen: als das größte von der britischen Regierung sanktionierte Massaker an den eigenen Bürgern im 20. Jahrhundert. Der 1969 aufgeflammte Bürgerkrieg in Nordirland erreichte damit eine neue Dimension. Etwa 3.500 Menschen starben in diesem langjährigen Konflikt. Die Hälfte der Opfer waren Zivilisten.
Brüchiger Frieden in Nordirland
Erst 1998 beendete das sogenannte Karfreitagsabkommen den blutigen Streit zwischen den verfeindeten Lagern: zwischen der IRA als bewaffnetem Arm der katholischen Minderheit auf der einen Seite und den verschiedenen Kampfgruppen der protestantischen Extremisten auf der anderen. Zu den Beteiligten des Konfliktes gehörte auch die britische Armee, die einen hohen Blutzoll entrichten musste.
Durch die Wirren um den Brexit ist das Schicksal Nordirlands jetzt erneut in den Fokus der europäischen Politik gerückt. Während die nordirischen Protestanten unbedingt weiter zu Großbritannien gehören wollen, fürchten die Angehörigen der katholischen Minderheit zu Recht, dass ein Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union in Verbindung mit einer streng kontrollierten Grenze zur Republik Irland die Hoffnungen auf eine Wiedervereinigung der geteilten „grünen Insel“ zunichte machen würde.
Neuer Gewaltausbruch
Auch wenn die Zukunft Nordirlands in der EU aktuell noch unklar ist, flammt die Gewalt bereits wieder auf. In Derry/Londonderry, einem der Orte, in dem über Jahrzehnte die heftigsten Kämpfe zwischen den Konfliktparteien ausgetragen wurden, explodierte am 19. Januar 2019 eine Autobombe. Verantwortlich gemacht wird eine Splittergruppe der offiziell aufgelösten IRA. Und auch auf protestantischer Seite sind Paramilitärs von damals immer noch aktiv.
„Was wird an der irischen Grenze passieren, wenn es keinen Austrittsvertrag, also den sogenannten harten Brexit, gibt?“, fragte „Spiegel Online“ die Nordirland-Expertin Dr. Katy Hayward von der Queen´s University in Belfast. „Die meisten Menschen in Nordirland wollten einen Deal und fühlen sich besonders in der Grenzregion den Risiken des Brexit ausgesetzt“, antwortete die Soziologin. „Wenn wir einen No-Deal-Brexit bekämen, würde das für viele einem Betrug gleichkommen. Und das würden die Paramilitärs nutzen.“
Und weiter sagte sie: „Es ist egal, ob wir einen harten oder weichen Brexit bekommen: Es wird wieder eine Grenze geben. Der Unterschied zwischen britisch und irisch wird deutlicher werden. Der Brexit fördert wieder zutage, was das Karfreitagsabkommen beilegen wollte: die Unterschiede zwischen beiden Seiten.“
Remember Bloody Sunday!
Düstere Aussichten für den Friedensprozess in Nordirland also. Haben die verantwortlichen Akteure die Schrecken des Bürgerkrieges und die Toten des Bloody Sunday bereits vergessen?
Ich war im Sommer 1973 als Bildreporter gemeinsam mit zwei Kollegen längere Zeit in Nordirland. Täglich wurden wir mit der Brutalität dieses Konfliktes konfrontiert: Bombenexplosionen, Schießereien und Straßenkämpfe, bei denen unbewaffnete Kinder und Jugendliche durch Hartgummigeschosse britischer Soldaten schwer verletzt wurden.
Die Hoffnung bleibt, dass sich diese blutige Geschichte trotz allem nicht wiederholt.
Die Fotografien in diesem Beitrag werden hier erstmals veröffentlicht. Sie sind Teil einer Bildreportage, die ich in Ausschnitten bereits in dem Artikel „Remember Bloody Sunday – der Bürgerkrieg in Nordirland“ vorgestellt habe. In meiner Ausstellung „Zeitblende. 1968 bis 2018“ sind ebenfalls Aufnahmen aus der Nordirland-Serie von 1973 zu sehen.
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