Fotografieren im Bereich unsichtbarer infraroter Strahlen – das ist das Eintauchen in eine andere visuelle Welt. Motive, die uns sattsam bekannt sind, erscheinen plötzlich wie verwandelt, eben in einem neuen Licht. Und genau darum ist die Infrarot-Fotografie, vor allem in ihrer schwarzweißen Variante, dazu prädestiniert, traditionelle Sehgewohnheiten aufzubrechen. Dafür finden sich etwa in dem Werk des US-Fotografen Jim Brandenburg viele eindrucksvolle Beispiele.
Allerdings: Der Grat zwischen Kitsch und Kunst in der Infrarot-Fotografie ist schmal, denn schnell gerät man in die Versuchung, allein auf den märchenhaften Effekt der Aufnahmen zu setzen und es damit klischeehaft zu übertreiben. Das mag der Grund sein, warum es in den letzten Jahren etwas still um die Infrarot-Fotografie geworden ist, die bereits 1910 von dem US-amerikanischen Physiker Robert Williams Wood entdeckt wurde.
Sensationelle Infrarotbilder des Weltraums
Doch in diesem Jahr konnte die Infrarot-Fotografie ein überraschendes, sensationelles Comeback feiern: Das neuentwickelte James-Webb-Teleskop der US-Weltraumbehörde lieferte infrarote Aufnahmen von Galaxien, die vor mehr als 13 Milliarden Jahren kurz nach dem Urknall entstanden waren.
„Das erste Bild des Webb-Weltraumteleskops ist ein historischer Moment für Wissenschaft und Technik“, lautete das begeisterte Fazit von US-Präsident Joe Biden bei der Präsentation dieses “tiefsten und schärfsten Infrarotbildes, das je vom frühen Universum gemacht wurde”. Und US-Vizepräsidentin Kamala Harris sprach ergänzend von einem „neuen Kapitel in der Erforschung unseres Universums.“
Infrarot-Fotografie als künstlerisches Medium
Aber nicht nur in dieser technisch-wissenschaftlichen Anwendung kann die Infrarot-Fotografie ein Comeback feiern. Auch als ernsthaftes künstlerisches Medium wird sie wieder beachtet und anerkannt. So veröffentlichte zum Beispiel die Fachzeitschrift “Profifoto” in der Ausgabe 10/2022 ein sechsseitiges Portfolio des Fotokünstlers Simon Puschmann mit farbigen Infrarot-Aufnahmen unter dem Titel “CALIFORN-IR”.
California: Traumfabrik, Counterculture, Hightech-Industrie. Kein anderer amerikanischer Landstrich hat mehrere Generationen massenkulturell so geprägt wie dieser. In seiner neuen Serie CALIFORN-IR beschäftigt sich Simon Puschmann mit der Infrarot-Fotografie und bietet dem Betrachtenden einen spannenden und zugleich verstörenden Blick auf das gegenwärtige Kalifornien.
Profifoto 10/2022, S. 28
„Die Wirklichkeit ist farbig, die Wahrheit schwarzweiß”, lautet ein berühmter Satz von Sebastião Salgado. Gilt dieses Credo nicht in gleichem, vielleicht noch in stärkerem Maße für die Infrarot-Fotografie? Ja, für mich ist das so: Vor allem in ihrer schwarzweißen Variante erschließt die digitale Infrarot-Fotografie neue Sehweisen und Bildwelten. So wie in meinem Portfolio vom Nørreskov auf Als/Alsen, einem der längsten Küstenwälder Dänemarks. Der zeitlos erscheinende, archaische Charakter dieser wenig berührten Landschaft wird im infraroten Licht besonders prägnant sichtbar.
Zu meiner Infrarot-Aufnahmetechnik: Ich arbeite mit zwei modifizierten Digitalkameras – einer Nikon D7000 und einer Nikon D700, die jeweils für die monochrome Infrarot-Fotografie im Wellenbereich von 830 nm umgebaut wurden.
Weitere Informationen dazu gibt es in meinem ausführlichen Beitrag Digitale Infrarotfotografie mit Nikon-Kameras in der Praxis auf dieser Website.