Yellowstone im Winter. Wölfe am Firehole River
„For the Benefit and Enjoyment of the People“ – das war das zentrale Motto in dem Gesetz, mit dem der Kongress der Vereinigten Staaten den Yellowstone National Park 1872 aus der Taufe hob. Noch heute ziert dieser Leitspruch den Roosevelt Arch, das 1903 errichtete mächtige Tor am Nordeingang des Parks. Gegründet wurde Yellowstone, der erste Nationalpark der Welt, mithin nicht primär zum Schutz der Natur, sondern vor allem, um deren Schätze touristisch besser ausbeuten zu können. Yellowstone wurde in Szene gesetzt als riesiger Freizeitpark.
Jagd auf Bären, Pumas, Bisons und Wölfe
Insofern war es nur konsequent, dass man die indigenen Stämme vertrieb und eine hemmungslose Jagd auf die vielfältige Tierwelt einsetzte. Unter Mithilfe des US-Militärs wurden Bären, Pumas und Bisons nahezu vollständig ausgerottet. Das Jahr 1926 markierte den traurigen Höhepunkt dieser Aktionen: Die letzten Wölfe in Yellowstone starben unter den Schüssen ihrer Verfolger.
Erst spät im 20. Jahrhundert begann eine kritische Bestandsaufnahme des bisherigen Parkmanagements. Ein radikaler Kurswechsel setzte ein: Nicht mehr das Freizeitvergnügen der Menschen sollte im Mittelpunkt der Maßnahmen stehen, sondern ausschließlich der Schutz der Natur. Durch Auswilderungsprogramme konnte einer der schwerwiegendsten Fehler der Vergangenheit, die Vernichtung aller Wölfe, korrigiert werden.
Die Rückkehr der Wölfe in Yellowstone
Seit 1995 leben wieder mehrere Wolfsrudel im Park und bilden eine stabile Population. Aktuell sind es 10 Gruppen mit insgesamt mehr als 100 Tieren. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass sich das fragile Ökosystem in Yellowstone dank der erfolgreichen Wiederansiedlung der Wölfe in vielen Bereichen positiv verändert hat.
Doch die Chance, in Yellowstone Wölfe aus der Nähe beobachten und fotografieren zu können, ist extrem gering. Sie bewegen sich überwiegend in den undurchdringlichen Tiefen der Wälder und in nicht zugänglichen Tälern abseits der Verkehrswege. Und natürlich scheuen sie jede Begegnung mit den Besuchern des Parks.
Als ich im Januar dieses Jahres zu meinem Projekt “Yellowstone im Winter” aufbrach, hatte ich insofern nicht die Erwartung, Wölfe ins Visier meiner Kamera nehmen zu können. Doch es sollte anders kommen.
Tödliches Drama: Wölfe stellen einen Bison am Firehole River
Am 20. Januar, einem Tag mit perfektem Winterwetter in Yellowstone – sonnig und klar, aber klirrend kalt -, stand ein Transfer per Snowcoach von Old Faithful nach Mammoth im Norden des Parks auf dem Programm. Als wir starteten, sagte unser Fahrer: “Wir werden am Firehole River einen Zwischenstopp einlegen. Kollegen berichten mir, dass dort ein Bison von Wölfen eingekreist wurde. Ich denke, das ist eine seltene Chance für spannende Bilder.“
Als wir den Schauplatz am Fluss erreichten, bot sich auf den ersten Blick ein scheinbar friedliches Bild: Auf der gegenüberliegenden Uferseite lagen zwei Wölfe schlafend im Schnee und – dicht vor ihnen – ein ausgewachsener Bison. Doch beim Betrachten der Szene durch das Teleobjektiv wurde die Dramatik des Geschehens sichtbar: Die Wölfe hatten dem Büffel eine tiefe Bisswunde am verlängerten Rücken zugefügt. Aufgrund dieser Verletzung stark geschwächt, konnte sich das mächtige Tier nicht mehr entscheidend gegen seine Widersacher zur Wehr setzen. Das Ende des Bisons war nur noch eine Frage der Zeit.
Jäger und Opfer Auge in Auge
Ich hatte ein Zeitfenster von einer Stunde, um das Verhalten der inzwischen hellwachen Wölfe zu fotografieren. Und den verzweifelten Versuch des Bisons, ihren Attacken zu entgehen. Immer wieder umschlichen die zwei Raubtiere – sie stammten aus dem als “Wapiti Pack” bekannten Rudel – ihre ermattete Beute, um sie mit weiteren Bissen endgültig zur Strecke zu bringen.
Ich verwendete für meine Bildserie überwiegend das AF-S Nikkor 400 mm 1:2,8E FL ED VR an der Nikon Z 8 in Verbindung mit dem Zweifachkonverter TC-20E III und konnte das Geschehen mit dieser extremen Brennweite trotz der beträchtlichen Entfernung im Detail festhalten – darunter auch den nur wenige Sekunden dauernden symbolträchtigen Moment, in dem sich der schwarze Wolf und sein Opfer Auge in Auge gegenüberstanden – der Bison mit Todesangst im Blick.
„Das eindrucksvollste Schauspiel in Yellowstone, das ich jemals beobachten konnte“ (Isaac Rath)
Da wir unsere Transfer-Fahrt nach Mammoth fortsetzen mussten, konnte ich das Drama am Ufer des Firehole River nicht weiter verfolgen. Isaac Rath – Biologe, Fotograf und professioneller Wildlife-Guide in Yellowstone – war einer der wenigen Augenzeugen, die Gelegenheit hatten, den gesamten Ablauf zu beobachten. In seinem ausführlichen Bericht schreibt er zum späteren Teil des Geschehens:
Als die Sonne unterging, hatten sich neun Wölfe am Schauplatz eingefunden. Der Bison riskierte jetzt alles und versuchte ihnen zu entkommen, indem er in die eiskalten Fluten des Firehole River stieg. Die Wölfe machten ein paar Versuche, ihm zu folgen, aber entweder die Kälte oder die Tiefe hielten sie auf Distanz. Im Laufe der nächsten 45 Minuten sahen die Wölfe am Ufer zu, wie der Bison darum kämpfte, seinen Kopf über Wasser zu halten. Schließlich ließ die letzte Energie des Bisons nach, und er wurde etwa 80 Meter flussabwärts geschwemmt, wo die Wölfe ihn über eine Sandbank erreichen konnten. Als ich am nächsten Morgen zurückkam, war der Großteil des Kadavers bereits verzehrt. Wir hörten die Wölfe in der Umgebung heulen und bellen und sahen einige umherstreifen. Im Laufe des Tages gingen sie immer wieder zum Kadaver und teilten ihn manchmal mit Raben, die geduldig darauf gewartet hatten, auch an dem Mahl teilnehmen zu können.
Isaac Rath auf Facebook, 23.1.2024 (hier als Übersetzung zitiert).
Nicht nur Isaac Rath, auch andere langjährige Wildlife-Guides in Yellowstone bestätigten mir, dass sie nie zuvor die Jagd eines Wolfsrudels aus solcher Nähe hatten beobachten können.