Matthias Nanz – ein Fischer an der Schlei: Quallenalarm
„Quallen, nichts als Quallen“, ruft Matthias Nanz, als er an einem Spätsommertag 2019 mühsam eine seiner Aalreusen in der Missunder Enge der Schlei hochzieht.
Kurzer Rückblick: Ende Mai dieses Jahres hatte ich ihn auf seinem Boot beim Aalfang begleitet. Von Quallen war da noch keine Spur. Im Rahmen meiner Langzeitreportage über Matthias Nanz als einen der letzten Berufsfischer an der Schlei sollte ich eigentlich erst wieder im Herbst an Bord kommen, wenn die Jagd auf Raubfische beginnt. Doch eine plötzliche Invasion der gefürchteten Rippenqualle (Ctenophora) durchkreuzte unseren Plan. Die bedrohliche Pest im Wasser der Schlei musste dokumentiert werden.
Die Schlei – mit Rippenquallen verseucht
So klettere ich Mitte September mit meiner Kamera an Bord der „Schle. 12“. Wir steuern die Aalreusen an, die Matthias Nanz in der Missunder Enge der Schlei ausgelegt hat.
Schon beim ersten Hochziehen des Fanggerätes wird klar: Das Wasser des schmalen Meeresarms der Ostsee ist mit Rippenquallen verseucht. Nur mit allergrößter Kraftanstrengung gelingt es dem Schleswiger Fischer, die Reuse ins Boot zu hieven. Der Inhalt: eine glibberige Masse aus Tausenden der nur einige Zentimeter großen „Meerwalnüsse“, wie die Rippenquallen auch genannt werden.
„Mit diesem Inhalt wiegt die Reuse bestimmt 300 kg“, schätzt Matthias Nanz, nachdem er das Fanggerät schweißgebadet an Bord gezerrt hat. Anschließend geht es um die vielleicht unangenehmste Aufgabe: das Reinigen der Reuse, die im Verbund einige Dutzend Meter lang sein kann.
Rippenquallen – ein Alptraum für Fischer
„Rippenquallen sind ein Alptraum für uns Fischer“, erzählt Matthias Nanz, während ich ihm bei der Arbeit zuschaue. „Wo Meerwalnüsse auftauchen, gibt es für uns nichts mehr zu fangen.“
Eigentlich sind die Tiere gar keine Quallen. Sie sehen nur so aus, gelten aber zoologisch als eigener Stamm. Die Heimat der Rippenqualle ist die Ostküste Nordamerikas. Dort gibt es andere Quallen, die die Meerwalnuss wegfressen und eindämmen. Nicht so bei uns: Weil diese Fressfeinde bei uns fehlen, kann sich die Meerwalnuss in Nordeuropa extrem gut vermehren. „Außerdem ist sie ein geschickter Räuber, sie produziert eine unsichtbare Nahrungsströmung. Sie wirkt wie ein Staubsauger im Meer“, erklärte die Kieler Meeresbiologin Cornelia Jasper in einem Interview mit der „Welt“ (Quelle: Online-Ausgabe vom 17.7.2018).
Vor 20 Jahren gelangten Rippenquallen wahrscheinlich im Ballastwasser von Frachtschiffen nach Nordeuropa. 2006 wurden erste Exemplare in der Ostsee entdeckt. Massiv betroffen ist inzwischen der Limfjord in Dänemark.
„Dort wurde die Meerwalnuss 2007 das erste Mal gesehen“, erläuterte Cornelia Jasper. „Seitdem findet man hier extrem viele Rippenquallen, bis zu einem Tier pro Liter Wasser. Da die Meerwalnuss ein so effektiver Räuber ist, gibt es in solchen Jahren quasi keine Krebstiere mehr im Wasser. Damit werden die mikroskopisch kleinen Pflanzen, das Futter der Krebstiere, nicht mehr kontrolliert. Algen können ungehindert wachsen. Sie sinken zu Boden und werden dort von Mikroorganismen abgebaut, was zusätzlich Sauerstoff aus dem Wasser verbraucht. Eine geringe Sauerstoffkonzentration wiederum schadet den Fischen und Muscheln. Die Quallen haben damit aber kein Problem. Durch diese eingeschleppte Rippenqualle haben Jungfische nicht nur einen neuen, ernst zu nehmenden Nahrungskonkurrenten, sondern auch ein zusätzliches Sauerstoffproblem im Sommer.“
Rippenquallen bedrohen die Ökosysteme
Ob an der Ostsee einschließlich der Schlei ein Horrorszenario droht, wie es das Schwarze und das Kaspische Meer bereits erlebten, lässt sich nicht vorhersagen. Dort veränderte eine Invasion von Rippenquallen beide Ökosysteme massiv. Innerhalb weniger Jahre kollabierte der Sardellen-Fischfang als wichtiger Erwerbszweig.
Matthias Nanz glaubt, dass der Klimawandel mitverantwortlich für die Invasion der Rippenqualle in Europa ist.
„Wie auch immer: Solange Meerwalnüsse in dieser hohen Konzentration in der Schlei schwimmen, kannst du das Fischen vergessen.“ Aber er ergänzt mit einem optimistisch klingenden Ausblick: „Die verschwinden wahrscheinlich bald schon wieder. Zumindest vorübergehend. Dann kann ich hoffentlich im Herbst wieder Fische fangen.“
Die Bilder entstanden mit einer Fujifilm X-Pro2 und den Fujinon-Objektiven XF 16 mm F1,4 R WR sowie XF 35 mm F2 R WR.