Schwarzweiß oder Farbe?
Die Fotografie ist eine Schule des Sehens. Eigentlich. Zumindest war sie es in jener Zeit, in der wir mit einem 36er-Film in der Kamera bei jeder Aufnahme sehr genau schauen und abwägen mussten, ob das ins Visier genommene Motiv hinreichend bildwirksam ist und späterer kritischer Betrachtung standhält.
Dieser Zwang zur präzisen Wahrnehmung der Welt schärfte den Blick für das Wesentliche, den entscheidenden Moment im flüchtigen Geschehen und die Ästhetik in unserer Umgebung.
Der Blick in das eigene Bildarchiv als Schule des Sehens
Heute, im digitalen Zeitalter, werden wir überschwemmt mit einer täglich wachsenden Zahl von Bildern. Bei der Selektion dieser enormen Flut entscheiden allerdings immer weniger qualitativ-inhaltliche, sondern oftmals irrationale oder gar populistische Kriterien.
Ein Beispiel sind die Portfolios mancher Stars aus der Welt des Films, des Fernsehens und der Musik, deren Bildstrecken trotz einer fragwürdigen inhaltlich-ästhetischen Relevanz von Medien als „Ikonen der Fotografie“ gefeiert und selbst in bedeutenden Ausstellungshäusern prominent präsentiert werden.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht mir nicht um eine fundamentale Kritik der digitalen Fotografie mit ihren unschätzbaren Vorteilen. Mich bewegt vielmehr der Gedanke, wie Kreative ihren Blick weiterhin schärfen können, damit die Fotografie eine Schule des Sehens bleibt.
Eines meiner persönlichen Trainingsrezepte ist der kritische Blick in das eigene Bildarchiv.
Schwarzweiß oder Farbe? Varianten eines Bildmotivs vom Berg Vestrahorn in Island
Wer intensiv fotografiert, verfügt in der Regel über beträchtliches Bildmaterial mit vielen tausend Aufnahmen. Die gelegentliche oder regelmäßige Analyse dieser Bestände hat unschätzbare Vorteile: Erstens lassen sich so Bilder (wieder-) entdecken, die eine unerwartete Aktualität gewonnen haben, oder wir stoßen zweitens auf Fotografien, deren ästhetische Qualität wir seinerzeit nicht richtig eingeschätzt hatten.
Genau diese Erfahrung machte ich, als ich kürzlich die unveröffentlichten Aufnahmen aus meiner Reportage „Island 2019“ nach längerer Zeit wieder einmal unter die Lupe nahm. Ich blieb bei einer Bildfolge hängen, die ich seinerzeit an einem der meistfotografierten Orte der Insel aus Feuer und Eis aufgenommen hatte: am Fuße des Berges Vestrahorn auf der Landzunge Stokksnes im Südosten von Island.
Zwei Beiträge habe ich diesem Thema gewidmet: „Island. Vestrahorn und Stokksnes“ und „Island. Schwarzer Sand“. Das vielleicht spannendste Bild aus der Serie blieb allerdings unveröffentlicht: Es zeigt eine ungewöhnliche Wolkenformation, die sich plötzlich für einen kurzen Moment als schmales Band vor den Vestrahorn schob – für mich damals ein magischer Moment und ein Glücksfall bei meinen fotografischen Aktivitäten in Island.
Jetzt habe ich dieses Motiv wiederentdeckt und stelle es hier zur Diskussion – und zwar in zwei Versionen: als Original in Farbe und als schwarzweiße Variante nach Konvertierung in Lightroom mit dem Plugin Nik Silver Efex.
Welche der beiden Versionen ist überzeugender, bildmächtiger? Zuschriften gerne an: photo@holger-ruedel.de